EVALAG-Tagung
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Deutschlands Mittelstand ächzt unter dem Fachkräftemangel. Die Arbeit wird auf immer weniger Köpfe verteilt, und wertvolles Wissen geht verloren...
Mit der richtigen Vorgehensweise gelingt es, wenigstens den Wissensverlust zu minimieren.
Der Verlust wertvollen Wissens durch ausscheidende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die Notwendigkeit, dieses Wissen effektiv an neue Teammitglieder weiterzugeben, rückt in Zeiten des Fachkräftemangels immer stärker in den Fokus. In diesem Zusammenhang spielt der Wissenstransfer eine entscheidende Rolle.
Beim Wissenstransfer wird Wissen von einer Quelle an eine Empfängerin oder einen Empfänger weitergegeben. Das Wissen eines Menschen wird in zwei Arten unterteilt: explizites Wissen und implizites Wissen. Explizites Wissen ist bereits dokumentiert und existiert zum Beispiel in Form von Dateien in Wikis, auf Laufwerken oder in Papierordnern. Implizites Wissen hingegen repräsentiert das wertvolle Erfahrungswissen eines jeden Menschen und ist daher an einzelne Personen gebunden. Ohne einen gezielten Wissenstransfer steht implizites Wissen niemand anderem zur Verfügung. Für beide Arten des Wissens ist es von großer Bedeutung, dass der Zugang zur Wissensdokumentation gewährleistet ist. Aber warum ist das so?
Wenn dokumentierte Informationen irgendwo vorhanden sind, haben wir oft Schwierigkeiten, darauf zuzugreifen, insbesondere wenn erfahrene Kolleginnen nicht im Büro sind. Wir wissen schlichtweg nicht, dass diese Inhalte existieren oder wo sie zu finden sind. Wenn Erfahrungen nicht geteilt und dokumentiert werden, führt dies nicht nur zu unnötiger Arbeit, sondern auch zu Zeitverlust, falschen Entscheidungen und Frustration.
Durch einen gezielten Wissenstransfer kann wichtiges und individuelles Wissen erfasst und strukturiert weitergegeben werden. Das Wissen ist somit jederzeit verfügbar, wenn es benötigt wird.
Dadurch können alle kontinuierlich arbeiten, ohne durch eine mühsame Informationssuche oder die Abhängigkeit von Kollegen ausgebremst zu werden. Dies führt nicht nur zu erheblichem Zeitgewinn, sondern auch zur Steigerung der Ergebnisqualität und der Zufriedenheit aller Beteiligten. Denn wenn wir Entscheidungen auf einer soliden Wissensbasis treffen und unsere Aufgaben ohne Umwege erledigen können, macht uns die Arbeit mehr Spaß und gelingt uns bedeutend besser.
Es ist eine schlechte Idee, Wissenstransfer im letzten Moment durchzuführen. Wenn Wissen nicht kontinuierlich transferiert wird, sollte der Wissenstransferprozess unmittelbar nach einer Kündigung eingeleitet und mit allen Beteiligten besprochen werden. Bei planbarem Ausscheiden wie dem Renteneintritt ist es ratsam, den Prozess etwa 18 Monate vorher zu starten. Der Ort kann ebenfalls eine entscheidende Rolle spielen. Besonders zu Beginn des Prozesses ist es wichtig, eine entspannte und positive Arbeitsatmosphäre zu schaffen, die nicht vom Alltagsstress geprägt ist.
Wissenstransfer tangiert eine Vielzahl an Personen. Diese lassen sich in sechs Gruppen clustern: Die Unternehmensleitung gestaltet Rahmenbedingungen für Wissen als strategische Ressource. Human-Resources-Verantwortliche initiieren Wissenstransfer- und Nachfolgeprozesse. Führungskräfte erkennen einen drohenden Wissensverlust und geben die Transferbegleitung in Auftrag. So sichern sie proaktiv kritisches Wissen in ihren Teams. Die Wissenstransferbegleitung moderiert den Wissenstransferprozess und erkennt so systematisch Wissen. Mit der richtigen Methode wird wertvolles Erfahrungswissen gesichert. Die Wissensgebenden bringen Zahlen, Daten und Fakten ein. Mit Beispielen und Szenarien werden eigenes Erfahrungswissen, (Miss-)Erfolge und Einschätzungen erfasst sowie das etablierte Netzwerk zugänglich gemacht. Die Wissensnehmenden sind die wichtigsten Personen im Wissenstransferprozess. Sie haben das höchste Interesse, sich das kritische Wissen zu eigen zu machen, um schnell handlungs- und entscheidungsfähig zu sein.
Bevor Wissen transferiert werden kann, ist es entscheidend, das Erfahrungswissen der Wissensgebenden zu identifizieren. Durch Experteninterviews kann das Wissen einzelner Personen sichtbar gemacht werden. Hierbei werden den Wissensgebenden gezielte Fragen zu ihren Fachgebieten gestellt, um das umfassende Erfahrungswissen zu erfassen. Dieses Wissen wird anschließend in einer Wissenslandkarte dokumentiert. Die Wissenslandkarte dient als Grundlage für den eigentlichen Wissenstransfer. Dabei werden alle Wissensgebiete systematisch und schrittweise an die Wissensnehmenden übergeben. Es genügt jedoch nicht, nur theoretisches Wissen zu vermitteln. Vielmehr ist es wichtig, den Wissensnehmenden die Möglichkeit zu geben, das neue Wissen in der Praxis zu erproben. Denn erst durch die Umsetzung in der Arbeitspraxis werden die Wissensnehmenden feststellen, ob sie das erworbene Wissen erfolgreich anwenden können. Sobald alle Wissensgebiete übertragen wurden und Wissensnehmende eigenständig arbeiten können, ist der Wissenstransfer erfolgreich abgeschlossen.
Der Artikel wurde in Zusammenarbeit mit Volker Schramm, Kristin Block, Elena Schüssler-Roggenhofer und Silvia Schorta geschrieben.