Mariusz Rzeznikiewicz vor der Grenze zu Polen

Jörg Tudyka

Themen

01.12.2023

In Deutschland wird oft auf Förderprogramme gewartet, in Polen wird schon umgesetzt

Mariusz Rzeznikiewicz erläutert im Interview die Besonderheiten seiner Arbeit für den Mittelstand auf beiden Seiten der polnischen Grenze und was ihn dazu motiviert.

Mariusz Rzeznikiewicz ist seit Mitte 2022 BVMW-Repräsentant in der Grenzregion kreisfreie Stadt Frankfurt (Oder) und dem Landkreis Oder-Spree in Ostbrandenburg. Der gebürtige Pole studierte an der „Viadrina“-Universität in der Grenzstadt, ist Dipl.-Kaufmann und praxiserfahrener externer Controller. Er setzt auf das BVMW-Netzwerk: „Themen wie Digitalisierung, Fachkräfte, grenzüberschreitende Zusammenarbeit, lassen sich so besser angehen. Es geht darum, unsere Wirtschaftsregion gemeinsam nach vorn zu bringen – auf deutscher wie auf polnischer Seite. Ich engagiere mich beim BVMW, da ich hier eine gute Plattform sehe, von der besonders lokale Unternehmer profitieren können.“ Sein persönliches Motto:

Der Sinn des Lebens ist, Grenzen zu überschreiten.

Ryszard Kapuściński | Polnischer Auslandsreporters

Was ist Ihr beruflicher Hintergrund und wie korrespondiert das mit Ihrer Tätigkeit für den BVMW?

Ich stamme aus der südpolnischen Gebirgsregion und bin zum Studium nach Frankfurt (Oder) gekommen. Seit meinem Studienabschluss bin ich im Bereich Controlling unterwegs und unterstütze kleine und mittelständische Unternehmen dabei, die Zukunft planbar zu machen. Ich versuche aus den Daten und Zahlen, die einem Unternehmen zur Verfügung stehen, Erkenntnisse zu gewinnen. Das hilft, erfolgreiche Geschäftsmodelle aufzubauen. Das kann ich auf beiden Seiten der Grenze tun. Mir liegt die Region am Herzen, und möchte gerne dazu beitragen, dass Frankfurt als Standort zwischen zwei großen Volkswirtschaften, in der Mitte Europas, als attraktiver Standort für Projekte angesehen wird. Dabei hilft mir u. a. die Zusammenarbeit mit meinen BVMW-Kollegen in Südbrandenburg, der Lausitz. Da ist der Strukturwandel in vollem Gange und davon können auch die benachbarten Regionen profitieren.

Wie profitieren Sie von Ihrer grenzüberschreitenden Kompetenz? Welche Ziele verfolgen Sie dabei?

In den BVMW möchte ich verstärkt polnische Unternehmen integrieren und die Grenzen von beiden Seiten aus überwinden helfen. Rund um den Speedway in Gorzow (Landsberg a. d. Warthe), Zielona Gora (Grünberg) und Poznań (Posen) passiert auf der polnischen Seite viel. So wie es in manchen Regionen Deutschlands der Fußball oder Eishockey sind, werden hier mit Cross-Motorrädern Rennen ohne Bremsen gefahren. Da das eine sehr beliebte Veranstaltung ist, finden sich hier viele Sponsoren und damit auch Unternehmen aus dem Mittelstand. Viele davon haben zwar bereits Kontakte nach Deutschland, aber der Speedway in Verbindung mit dem BVMW bildet eine ideale Plattform, das zu intensivieren. Für das kommende Jahr bereiten wir ein BVMW-Event in Gorzow vor.
Das BVMW-typische Netzwerken bekommt hier nochmal eine besondere Nuance. Denn der Mittelstandsverband kann deutsche und polnische Unternehmen zusammenbringen, entstehende Kooperationen begleiten und dadurch helfen, gemeinsam zu wachsen.
Die Grenzregion bietet für mich noch viel unentdecktes Potenzial. Ich beginne deshalb auf Macherebene und setze dort an, wo tatsächlich Entscheidungen getroffen werden. Dabei geht es vor allem um Personalfragen, im Kern jedoch grundsätzlich darum, junge Menschen in der Grenzregion zu halten. Wir stellen uns die Frage, welche Anreize wir auf beiden Seiten der Grenze dazu schaffen können.
Ein Beispiel: Auf BVMW-Initiative besuchten zwei polnische Schulen eine Ausbildungsmesse auf deutscher Seite. Wir bieten den Schülern dort Möglichkeiten für den Berufseinstieg.

Wie betrachten Sie die aktuelle Situation für den Mittelstand in Polen im Vergleich zu Deutschland?

In Polen ist in der Coronazeit viel im Bereich Digitalisierung passiert. Das sieht in Deutschland anders aus. Allein das Thema Kontoeröffnung ist in Deutschland ein großes Problem. Das geht ja in vielen Fällen noch nicht digital. Der Postweg dauert ewig. In Polen gehen diese Dinge einfach schneller. Auch bei den Behörden sind die Prozesse derzeit digitaler als in Deutschland.
Das hält auch in der Bildung Einzug. In den Schulen werden Programmiersprachen gelehrt und ab der vierten Klasse erhält jedes Kind neuerdings einen Laptop. In der Wirtschaft wird im Zuge der Prozessautomatisierung eine Effizienz erreicht, die es so vorher nicht gab. Das ist ein Wettbewerbsvorteil.
Im Bereich erneuerbare Energien passiert aktuell auf der Unternehmensebene einiges, ob es nun um die Entwicklung von Lösungen oder auch den Einsatz von erneuerbaren Energien geht. Meist passiert das ohne Fördermittel, da die polnische Regierung mit Blick auf den Krieg in der Ukraine das Tempo beim Strukturwandel gedrosselt hat und derzeit noch auf die vorhandenen fossilen Brennstoffe setzt. In Polen wünscht man sich auf der Unternehmerseite mehr Stabilität und klare Rahmenbedingungen – das ist aber aktuell in Deutschland auch nicht anders.

Wie sieht es aktuell mit den deutsch-polnischen Beziehungen im Mittelstand aus?

Aus polnischer Sicht wird Deutschland immer noch vordergründig als Absatzmarkt gesehen. Es gibt aber schon einige Kooperationen und mittlerweile sogar vereinzelt Übernahmen deutscher Unternehmen, die im eigenen Land keine Nachfolge finden. Da gilt es jedoch, Gräben zu überwinden, aber es zeichnen sich auch deutliche Vorteile ab. Bei fast jedem deutschen Unternehmen in der Region arbeiten bereits polnische Mitarbeiter. So werden die Wege immer kürzer und Zusammenarbeit einfacher, was natürlich viel mit der Kommunikation zu tun hat.
Ein großer neuer Player in der Region ist Tesla. Auf den ersten Blick bedeutet das negative Auswirkungen für den Mittelstand. Der Fachkräftemangel hat sich deutlich verstärkt, denn mit dem Lohnniveau bei Tesla können viele KMUs nicht mithalten. Beispielsweise hat ein Mitgliedsunternehmen mit zwölf Mitarbeitern vier Fachkräfte an Tesla verloren. Das lässt sich nicht mal eben so einfach kompensieren. Es müssen deshalb neue Wege gegangen werden, um Fachkräfte zu bekommen und zu halten. Da kann der BVMW eine wichtige Rolle spielen.
In Bezug auf den Standort frage ich mich, warum viele deutsche Unternehmen immer noch Stopp an der polnischen Grenze machen. Auf der polnischen Seite gibt es viele Möglichkeiten – das wird aber deutscher Seite nicht gesehen.

Woran liegt das?

Sicher gibt es bürokratische Hürden, eine andere Gesetzeslage. Aber umgekehrt ist das auch eine Herausforderung für polnische Unternehmen, zum Beispiel was deutsche Vorgaben in Sachen Nachhaltigkeit betrifft. Aber dafür gibt es Lösungen. Durch die polnischen Studenten an der Europa-Universität Viadrina ist zudem genug Potenzial vorhanden, die Kommunikation zu vereinfachen. Die Sprachbarriere wird immer kleiner.

Welche grenzüberschreitenden Kooperationen konnten Sie bereits erfolgreich begleiten?

Ein Mitgliedsunternehmen, ein Metallverarbeiter, suchte händeringend nach Azubis. Vor ein paar Jahren hatte er noch 60 Bewerbungen auf seine Ausbildungsplätze auf dem Schreibtisch. Heute kämen drei bis vier rein und er habe eigentlich keine Wahl mehr. Daraufhin konnte ich ihm eine Berufsschule auf der anderen Seite der Grenze empfehlen, die Schüler als Praktikanten an Betriebe vermittelt. Das mag innerhalb eines Landes normal sein. Fakt ist aber, dass wir als BVMW die ersten waren, die von der deutschen Seite aus Kontakt mit der polnischen Berufsschule aufgenommen haben. Jetzt können sich die jungen Polen in deutschen Betrieben ausprobieren und umgekehrt kann der Betrieb praktisch testen, ob geeignete Kandidaten für eine Ausbildung dabei sind.

Die Schwierigkeit hierbei ist andererseits, dass viele junge Menschen in Polen gar nicht wissen, welche Perspektiven der deutsche Mittelstand bietet. Man pendelt stattdessen zu Tesla oder Zalando und arbeitet letztlich in Jobs, die austauschbar sind und teilweise keine Ausbildungen verlangen. Noch schlimmer – in Polen handwerklich Ausgebildete arbeiten in irgendwelchen fachfremden Hilfsjobs!

Wie sehen Sie die kulturell-mentalen Unterschiede auf beiden Seiten der Grenze? Wie drückt sich das im Handeln der Unternehmer aus?

Grundsätzlich ist es wichtig, sich der Mentalität des anderen zu öffnen. In Polen hat sich über die Jahrzehnte, auch durch die Zeit des Kommunismus, eine andere Herangehensweise an viele Dinge eingeschliffen. Man orientierte sich nicht immer an den Behörden und fand andere Wege, selbst unter schwierigen Bedingungen. Polnische Unternehmer sind sehr agil, man hat hier Themen auf dem Schirm, die auf deutscher Seite noch immer vernachlässigt werden. Da gibt es Unternehmen, die schon sehr früh auf Vollautomatisierung gesetzt haben, um dem Fachkräftemangel zuvorzukommen. In Deutschland wartete man noch oft auf Förderprogramme, in Polen wurde schon umgesetzt.

Wie ist Ihr Ausblick auf die Grenzregion Frankfurt (Oder)?

Wir liegen im Herzen von Europa, der Weg zum Flughafen nach Berlin ist kurz, auf der polnischen Seite sind Posen und Stettin sehr nah, zwei Städte mit hoher Lebensqualität.
Das Lohnniveau zwischen Deutschland und Polen in der Region gleicht sich immer mehr an. Das birgt mittlerweile auch Möglichkeiten für deutsche Unternehmer, in Polen tätig zu werden. Es wächst immer mehr zusammen. Wir sind hier auf einem guten Weg. Der BVMW trägt dazu bei.

Mariusz Rzeznikiewicz, Beauftragter des Verbandes ‒ Frankfurt (Oder), Landkreis Oder-Spree

Mariusz Rzeznikiewicz

Beauftragter des Verbandes ‒ Frankfurt (Oder), Landkreis Oder-Spree

Gubener Str. 21c

15230 Frankfurt (Oder)

Germany

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