Gastbeitrag von Thiemo Fojkar im Mannheimer Morgen
Matthew Dixon, Canva
Die Bundesregierung muss entschlossen handeln, damit Deutschland bei der Digitalisierung nicht weiter hinter andere Länder zurückfällt.
Der Mittelstand. BVMW e.V. hat die Bundesregierung gemeinsam mit wichtigen Digitalisierungs- und Mittelstandsverbänden sowie VertreterInnen aus der Wissenschaft zu einem Kurswechsel in der Digitalpolitik aufgefordert.
Der KI Bundesverband, der Mittelstand. BVMW e.V, der Bundesverband IT-Mittelstand e.V. (BITMi), der Bundesverband Digitale Wirtschaft e.V, eco - Verband der Internetwirtschaft e.V. und das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) appellieren an die Bundesregierung, die Digitalisierung in Deutschland entschieden voranzutreiben. Dazu braucht Deutschland klare Zuständigkeiten in der Digitalpolitik, den Ausbau einer dedizierten Infrastruktur für die Entwicklung von Schlüsseltechnologien und die Umsetzung der im Koalitionsvertrag vereinbarten Ziele wie das Digitalbudget.
Unseren Wohlstand in der Globalisierung zu sichern ist nur möglich, wenn wir wirtschaftlich und technologisch weiter in der Spitzenliga spielen und die Innovationskräfte unserer Wirtschaft entfalten.
So wurde es im Koalitionsvertrag im Dezember 2021 mit dem Titel “Mehr Fortschritt wagen” für die 20. Legislaturperiode festgeschrieben. Keine Frage: Unsere Wirtschaft ist mehr denn je darauf angewiesen, dass wir den technologischen Fortschritt nutzen, die digitale Transformation vorantreiben und sie souverän, also auch durch eigene digitale Lösungen gestalten. Leider muss in Deutschland zur Zeit ein Trend in die entgegengesetzte Richtung beobachtet werden. Die Kürzungen in den jeweiligen Digitalhaushalten der Bundesministerien entwickeln sich zu einem chronischen Trend, die überfällige Digitalisierung der Verwaltung droht mit den angekündigten Mittelkürzungen Schiffbruch zu erleiden, durch blockierte Gesetzesvorhaben werden weiterhin keine dringend benötigte Anreize für die Wirtschaft geschaffen, die digitale Transformation in den Unternehmen voranzutreiben und in Schlüsseltechnologien wie der Künstlichen Intelligenz droht Deutschland eine gefährliche Abhängigkeit von ausländischen und außereuropäischen Anbietern.
Aktuelle Zahlen zeigen, dass sich die digitale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands in den letzten Jahren deutlich verschlechtert hat. Während europäische Nachbarländer und internationale Partner milliardenschwere digitalpolitische Investitionsinitiativen starten, droht Deutschland bereits im nächsten Jahr den Anschluss zu verlieren.
Hinzu kommt: Deutschland ist in digitaler Hinsicht nicht nur vielfach abgehängt, sondern auch zunehmend stark abhängig. Einen erheblichen Teil digitaler Technologien und Dienstleistungen kaufen wir aus nicht-europäischen Ländern, insbesondere den USA und China ein. Das hat besorgniserregende Folgen. Erstens: Ohne ein eigenes Alternativangebot, beispielsweise in Schlüsselbereichen wie KI oder Cloud, haben wir keine Rückfalloptionen und sind als Volkswirtschaft nötigenfalls digital nicht handlungsfähig. Der Digitale Dependenz Index (DDI) der Uni Bonn bescheinigt Deutschland diesbezüglich eine hohe Vulnerabilität. Zweitens: Gelingt es uns nicht, mit eigenen digitalen Geschäftsmodellen global wettbewerbsfähiger zu werden, werden wir unser Wohlstandsniveau zwangsläufig und absehbar nicht halten können.
Große Sorgen bereitet immer noch die Digitalisierung der Verwaltung. Sie bleibt eine Daueraufgabe und wird uns somit auch in Zukunft beschäftigen. Das heißt aber nicht, dass wir die Aufgaben hier vor uns herschieben dürfen. Ohne eine vollzogene Registermodernisierung wird der Austausch der Daten zwischen den Behörden und damit eine Vereinfachung der Prozesse nicht funktionieren. Abgesehen davon ist es für die Wirtschaft auch wichtig, dass Prozesse optimiert und Behördengänge vereinfacht werden. Es ist daher unverständlich, dass die Prioritäten nicht bei einem der wichtigsten Hebel für einen zukunftsfähigen Staat und für den Bürokratieabbau liegen.
Deutschland muss in den Bereichen Digitalisierung und technologischer Fortschritt wieder zur Weltspitze zählen. Auch die Europäische Kommission hält im DESI-Länderbericht 2022 fest, dass Deutschland eine zentrale Rolle bei der digitalen Transformation Europas spielt. Investitionen in die Digitalisierung sind deswegen eine unabdingbare strategische Notwendigkeit für den Wirtschaftsstandort Deutschland und die entsprechende Infrastruktur.
Die jüngsten Entwicklungen rund um die Verteilung der Bundesmittel im Digitalhaushalt spiegeln eine gefährliche Entwicklung mit weitreichenden Folgen für die Zukunftsfähigkeit unserer Wirtschaft, unserer Verwaltungen und den Wohlstand unseres Landes wider. Wir fordern die Bundesregierung daher dazu auf, die geplante Mittelverteilung neu zu evaluieren und von einer derart nachteiligen Richtungsentscheidung Abstand zu nehmen. Nachdem bereits der Digitalpakt 2.0 verschoben, die Superabschreibungen für digitale und nachhaltige Investitionen nicht kommen, im Wachstumschancengesetz die Investitionsprämie für digitale Investitionen nicht vorgesehen ist und es darüber hinaus auch kein Digitalbudget geben wird, wünschen wir uns dringend mehr Mut und Pragmatismus, den Koalitionsvertrag auch umzusetzen.
Die fehlende Umsetzung der vereinbarten digitalpolitischen Ziele und die anhaltenden Kürzungen im Digitalhaushalt erwecken mittlerweile den Eindruck, dass die Bundesregierung noch nicht in ausreichendem Maß dieses zentrale Projekt vorantreibt. Ein Bild, welches sich, wie wir als Vertreter:innen von über 34.400 Unternehmen feststellen müssen, durch die Umsetzung der Digitalstrategie der Bundesregierung zieht. Noch immer wurde nur knapp die Hälfte der in der KI-Strategie versprochenen Bundesmittel abgerufen, und das knapp eineinhalb Jahre vor Ablauf der Strategie.
Dabei stellen Digitalisierung und Künstliche Intelligenz einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung akuter Herausforderungen dar. Ohne Digitalisierung und ohne innovative KI-Entwicklungen lassen sich die Pariser Klimaziele nicht erreichen und ohne den Ausbau der Cybersicherheitsinstrumente werden unsere kritischen Infrastrukturen geschwächt. Die Kosten der Investitionszurückhaltung werden sich also in verpassten Chancen, einer stagnierenden Wirtschaft und einer ineffizienten Verwaltung niederschlagen. Deutschland wäre jedoch in einer exzellenten Ausgangsposition, um hier eine Vorreiterrolle einzunehmen. Im Forschungsoutput im Bereich KI befindet sich Deutschland hinter den USA an der Weltspitze. Die Machbarkeitsstudie LEAM zeigt zudem das Potenzial, das durch den Aufbau einer dedizierten Recheninfrastruktur für das Training großer KI-Sprachmodelle generiert werden kann. Deutschland ist die Heimat von europaweit führenden KI-Unternehmen. Wir laufen Gefahr, unsere Wettbewerbsposition weiter zu schwächen und den erreichten Fortschritt im digitalen Zeitalter zu verlangsamen.
Deutschland verfügt über eine leistungsfähige, mittelständisch geprägte Digitalwirtschaft. Doch insbesondere hohe regulatorische oder vergaberechtliche Anforderungen, die oft nur Großkonzerne erfüllen können, bremsen sie oftmals aus.
Hinzu kommen weitere Faktoren wie der fehlende Zugang zu Wachstumskapital. Ziel muss es sein, die Digitalwirtschaft in ihrer ganzen Breite zu befähigen, um Abhängigkeiten in allen relevanten Bereichen schrittweise abzubauen.
Initiativen einzelner Bundesministerien wie beispielsweise der am 23. August 2023 verkündete “Aktionsplan Künstliche Intelligenz” des Bundesministeriums für Bildung und Forschung sind dabei ein wichtiger Baustein zur Erreichung dieser vereinbarten Ziele. Nichtsdestotrotz bedarf es einer vereinten Kraftanstrengung von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft, um die im Koalitionsvertrag beschlossenen und dringend notwendigen Maßnahmen noch in dieser Legislaturperiode umsetzen zu können. Dafür braucht es aber auch eine klare Führung innerhalb der Bundesregierung, unter deren Leitung die Digitalisierung in unserem Land messbar vorangetrieben und zum Erfolg geführt werden kann.
Die im Koalitionsvertrag verankerten digitalpolitischen Ziele stehen gegenwärtig auf unsicherem Grund. Sollen diese Maßnahmen tatsächlich erfolgreich umgesetzt werden, braucht es einen erkennbaren Kurswechsel. Digitalisierung muss zu den Top-Prioritäten auf der Regierungsagenda gehören. Des Weiteren müssen vorhandene Mittel für die Digitalisierung effizient eingesetzt werden. Neben dem Ausbau der Infrastruktur ist ein anderes Mindset unabdingbar: Wir müssen uns trauen, die Digitalisierung als Chance wahrzunehmen und aktiv auf allen Ebenen der Gesellschaft voranzutreiben. Die Bundesregierung sollte dazu die großen Potenziale nutzen, die in unserem Land liegen.
Wir laden die Bundesregierung zu einem gemeinsamen Dialog ein, um die dringend notwendige Umsetzung der im Koalitionsvertrag vereinbarten Ziele in enger Zusammenarbeit anzugehen. Nur mit einer solchen gemeinsamen Kraftanstrengung können wir unsere Wettbewerbsfähigkeit, unser Wirtschaftswachstum, die Stabilität des gesamten Mittelstandes und unserer öffentlichen Dienstleistungen erhalten und weiter stärken. Sie haben die politische Verantwortung. Wir haben die technisch-wissenschaftliche Erfahrung. Lassen Sie uns gemeinsam an folgenden Zielen arbeiten: