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Arbeit & Soziales
Rosenheim, 01.02.2024 Lesezeit: 5 Minuten

Fachkräftemangel nimmt zu

Wie sehr setzt er Betrieben zu? Chefvolkswirt Dr. Völz im Interview

Autorin: Kornelia Kirchermeier

Der Verband für den Mittelstand hat einen direkten Draht zu den Unternehmen. BVMW-Chefvolkswirt Dr. Hans-Jürgen Völz verrät, welches Feedback er von den Betrieben bekommt und wie akut der Fachkräftemangel in den jeweiligen Branchen ist. Zu den beschäftigungsintensiven sogenannten Engpassberufen zählen die Pflegeberufe, Berufskraftfahrer, Medizinische Fachangestellte, Bauberufe sowie Berufe in der Kinderbetreuung oder Kraftfahrzeugtechnik. Ferner sind Apotheker, Architekten oder Berufe im IT-Bereich zu nennen.

Dies ist aber nur eine Momentaufnahme. Die Zahl der Engpassberufe ist laut Bundesagentur für Arbeit im vergangenen Jahr kräftig gestiegen. Mittlerweile wurden in 200 der rund 1200 bewerteten Berufe Engpässe festgestellt, 52 mehr als ein Jahr zuvor. Tendenz steigend.

Lässt sich der Schaden auch in Zahlen beziffern? Zum Beispiel in der Zahl der Unternehmen, die aufgrund des Fachkräftemangels ihre Tätigkeit einstellen oder herunterfahren müssen? Oder Umsatzeinbußen bei den Betrieben?

Dr. Hans-Jürgen Völz: Hierzu gibt es noch keine belastbaren Zahlen. Weil jedoch in mittlerweile jedem sechsten Beruf Fachkräfte knapp werden, dürfte sich das bald ändern. So sind schon heute Betriebsschließungen im Hotel- oder Gastronomiegewerbe oder im Metallbau an der Tagesordnung. Selbst Busfahrer gibt es nicht mehr im ausreichenden Umfang. Zukünftig dürften auch Bürokaufleute sowie Berufe im Verkauf oder auch Berufe in der Lagerwirtschaft nicht mehr problemlos zu besetzen sein. In Umfragen geben Mittelständler an, dass drei Viertel von ihnen den Fachkräftemangel als größte Herausforderung ansehen.

Was, glauben Sie, ist die Ursache des Fachkräftemangels hierzulande? Wird zu wenig aus- und weitergebildet? Ist es rein der demografische Wandel, also das reine Fehlen an Arbeitskraft generell?

Das ist keine Frage des Glaubens. Knallharte Faktoren sind Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft, der sich beschleunigende technologische Fortschritt und vor allem der demografische Wandel. Immer weniger Menschen stehen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. Bis zum Jahr 2035 sinkt das Arbeitskräftepotenzial um sieben Millionen Menschen. Bildungslücken, wie gerade von der jüngsten PISA-Studie bestätigt sind ein weiterer Baustein der Gesamtproblematik.

Ein anderes Problem des Mittelstands sind zu wenig Ressourcen zur Anwerbung von ausländischen Fachkräften. Der Staat mit seiner überbordenden Bürokratie, hohen Steuern und Abgaben sowie teuren Energiekosten lässt den Unternehmen unter dem Strich immer weniger. Anders als die Konzerne sind unsere Mittelständler auf die hiesigen Rahmenbedingungen angewiesen und können nicht ins kostengünstigere Ausland abwandern.

Portrait Hans-Jürgen Völz

BVMW

Dr. Hans-Jürgen Völz, Bundesgeschäftsleiter Volkswirtschaft, Der Mittelstand.BVMW

Welche Strategien verfolgen die Mitgliedsunternehmen, um dem Problem entgegenzuwirken?

Eigeninitiativen wie Employer Branding oder punktuell die Anwerbung von Personal auf eigene Kosten aus fernen Ländern sind ein Weg. Darüber hinaus wird die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in den Unternehmen immer stärker gelebt, wo dies in beiderseitigem Einverständnis erfolgt. Schließlich ist die Erwerbsbeteiligung von Frauen und Älteren ein Schalthebel für mehr Beschäftigung.

Was müsste sich politisch oder gesellschaftlich ändern, um den Fachkräftemangel in den Griff zu bekommen?

Arbeit muss wieder attraktiver werden. Dies geschieht in erster Linie über Anreize. Es darf nicht lukrativer sein, Bürgergeld zu beziehen als zu arbeiten. Das Lohnabstandsgebot muss gewahrt werden. Außerdem sollte der Staat den Bürgern mehr Netto vom Brutto lassen. Die Sozialabgaben dürfen die Schwelle von 40 Prozent nicht übersteigen. Aktuell zeichnet sich leider ab, dass die Bundesregierung das genaue Gegenteil davon macht. Gesellschaftlich sollte die Gleichwertigkeit beruflicher und akademischer Ausbildung Standard werden. Beides hat seinen Platz in unserer modernen Arbeitswelt.

Was könnte das Fachkräfteeinwanderungsgesetz ändern?

Die Fachkräfteeinwanderung muss effizienter gestaltet werden. Zum Beispiel durch eine ressortübergreifende Bundesagentur für Einwanderung, die unabhängig von Ausländerbehörden und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge agiert. Ferner durch Vermeidung langer Wartezeiten bei der Visavergabe durch Digitalisierung der Verfahren. Außerdem könnten öffentliche Antragsverfahren in englischer Sprache Barrieren senken. Schließlich ist auch der Verzicht auf einen zu engen beruflichen Zusammenhang zwischen Anerkennungsverfahren und angestrebter Tätigkeit wünschenswert. Grundsätzlich sollte die Beurteilung der Eignung stärker den Arbeitgebern überlassen werden, statt bürokratische Auflagen zu machen.

Quelle: Erschienen in den OVB Heimatzeitungen am 27. Januar 2024

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