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Arbeit & Soziales
München, 18.06.2024 Lesezeit: 5 Minuten

Warum ich keine 1000 Bewerbungen brauche!

Qualität statt Quantität im Recruiting - eine Analyse von Mitglied The Unleashpeople

Autor: Christian Wastlhuber, The UnleashPeople

Die Ausgangslage

Der Fachkräftemangel ist real, gerade stehen 120.000 Schulabgänger:innen 240.000 Rentner:innen gegenüber. Und wenn wir nichts ändern, wird sich die Schere in den kommenden Jahren noch weiter öffnen (siehe hierzu für Bayern den Arbeitsmarktradar: https://arbeitsmarktradar.bihk.de/

Die große Frage lautet: Kann ich als mittelständisches Unternehmen etwas dagegen tun? Und wenn ja, wie sieht eine mögliche Lösung aus?

Die Antwort auf die erste Frage ist einfach: Ja. Es gibt Mittel und Wege, dagegen anzukommen. Die Antwort auf die zweite Frage ist etwas komplexer: Hier spielen viele Dimension zusammen, es hängt nicht allein am Recruiting.

Trotzdem liegt der Fokus dieses Artikels auf Recruiting. Hier können mit wenigen und nicht kostspieligen Mitteln große Verbesserungen erreicht werden.

Bevor die Details beleuchtet werden, muss ein zentraler Punkt im Recruiting hervorgehoben werden:

Viel hilft nicht viel!

Ganz im Gegenteil: Es werden nicht hunderte von Bewerbungen benötigt, um eine einzelne Position zu füllen. Die Masse an Bewerbungen behindert sogar die eigentliche Intention. Es werden so viele Kapazitäten gebunden, dass sich das Recruiting Team (Recruiter:innen, Interviewer:innen und die entscheidenden Führungskräfte) gar nicht um die eigentliche Aufgabe kümmern kann: schnell die richtigen Personen identifizieren und einstellen.

Im folgenden werden drei verschiedene Aspekte beleuchtet, die den Erfolg im Recruiting nachhaltig verbessern:

  1. Ein gut strukturierter Recruitingprozess
  2. Der Fokus auf die richtigen Kennzahlen
  3. Ein gut ausgebildetes Recruiting Team

1. Ein gut strukturierter Recruitingprozess

Das A und O für erfolgreiches Recruiting ist ein einfacher und skalierbarer Recruitingprozess. Die Gesellschaft für Personalmanagement (SHRM) schreibt: “Ein starkes Framework im Recruiting ist die Grundlage für den Aufbau eines leistungsstarken Teams. Es gewährleistet Konsistenz, Effizienz und Fairness während des gesamten Einstellungsprozesses und führt letztendlich zur Gewinnung von Top-Talenten.

Ein erfolgreicher Einstellungsprozess ist einfach. Je komplexer das Einstellungsverfahren ist, desto höher ist das Risiko, Dinge aufgrund des Prozesses zu tun und nicht, weil sie Sinn machen. Im Grunde sieht ein einfacher und skalierbarer Recruitingprozess folgendermaßen aus:

  • Planung: Strategische Personalplanung und Einrichtung der Position im Recruiting Tool
  • Definition: Umfassendes Briefing zum vollständigen Verständnis der Anforderungen
  • Kennenlerngespräch: Erstes (telefonisches) Gespräch mit den am besten passenden Kandidat:innen
  • 1. Interviewrunde: Tiefgehende Gespräche inkl. Technischer Bewertung
  • 2. (finale) Interviewrunde: Abschlussgespräch(e) und Klärung der letzten offenen Fragen
  • Angebot und Onboarding: Unterbreitung eines konkurrenzfähigen Angebots und Beginn des strukturierten Onboardings


‍Von den sechs Phasen haben nur vier Kontakt mit den Kandidat:innen. Die ersten beiden sind deswegen nicht minder wichtig. Ohne sie fehlt die Basis für den Erfolg.

Ein einfacher Recruitingprozess steht nicht im Widerspruch zu einer gründlichen Bewertung der Fähigkeiten der Kandidat:innen! Vielmehr ermöglicht er, jedes Rekrutierungsprojekt an seine spezifischen Bedürfnisse anzupassen, z. B. eine kurze Programmieraufgabe zwischen Erstkontakt und den Vorstellungsgesprächen in der ersten Runde. Oder ein halbtägiger Workshop, der von Ihrer zukünftigen CPO abgehalten wird. Der Prozess setzt die Grenzen, innerhalb derer man sich bewegen kann, und gibt exakt die Freiheit, genau die richtige Person zu finden.

Wenn der Prozess ausgereift ist, kommt als nächster Schritt datengetriebenes Recruiting. Hier gilt: Ohne einen einfachen, einheitlichen Recruitingprozess, der die gleichen Schritte für alle Rekrutierungsprojekte vorsieht, gibt es keine aussagekräftigen Informationen aus den Daten. Sobald sie aber in einem einheitlichen Vorgehen gesammelt werden, können z.B. tiefgehende Einblicke aus dem unternehmensweiten Funnel zu unterschiedlichen Zeitpunkten betrachtet werden. Man kann den Blick auf bestimmte Abteilungen eingrenzen und die Leistung des Funnels in verschiedenen Ländern oder Standorten vergleichen. Plötzlich zählt nicht mehr das Bauchgefühl, sondern Entscheidungen werden auf der Basis von Fakten getroffen.

2. Der Fokus auf die richtigen Kennzahlen

Es existiert eine Unmenge von Kennzahlen, Metriken und KPIs, die gesammelt werden können. Viele liefern wenig bis keinen wertvollen Erkenntnisgewinn und andere machen erst in einem sehr reifen Umfeld Sinn.

Trotzdem ist es wichtig, sein Recruiting mit Zahlen zu untermauern, um die richtigen Entscheidungen treffen zu können. Für den Anfang sind die folgenden Messgrößen zu empfehlen:

  • Konversionsraten (Kann und sollte nach Rolle, Kanal, Abteilung, Dienstalter usw. aufgeschlüsselt werden)
  • Anzahl der Neueinstellungen
  • Time-to-Offer und Time-to-Hire inkl. Aufschlüsselung nach Rolle, Kanal, Abteilung, Seniorität, usw.
  • Wöchentliche Angebote im Vergleich zu unterzeichneten Verträgen
  • Talent Sourcing/Direktsuche (Rücklaufquote, Konversionsrate, Bestehen der ersten Runde, Angebote und Einstellungen)
  • Candidate Experience
  • Zufriedenheit der entscheidenden Führungskräfte
  • Erfolgsquote (wie viele Neueinstellungen schaffen die Probezeit und die ersten 12 Monate; bei Ausscheiden Aufschlüsselung nach Gründen)

Von den genannten, ist ein starker Fokus auf die Konversionsraten am wichtigsten! Denn darin lassen sich die Qualität der Kandidat:innen und eine mögliche Zeitverschwendung ablesen.

Nachfolgend ein kleines Beispiel mit absoluten Bewerbungszahlen und Konversionsraten:

Tabelle mit Bewerbungszahlen und Interview-Statistik

The Unleashpeople

So unterschiedlich die Zahlen hier sind, der Erkenntnisgewinn ist immens. Unter der Annahme, dass das Kennenlerngespräch von einer Person durchgeführt wird und ca. 45min dauert, die 1. Interviewrunde 2-3 Personen bindet und ca. 90 Minuten dauert und schließlich die 2. Interviewrunde 60 Minuten in Anspruch nimmt und 2 Personen beansprucht - die Zeit, die benötigt wird, um Bewerbungen zu überprüfen, sich mit den Personalverantwortlichen abzustimmen, Zeit für Vor- und Nachbesprechungen, usw. ist hierbei noch nicht enthalten -, ist das Ergebnis klar. In Beispiel 1 werden 116 Stunden pro Einstellung benötigt, also 14,5 Personentage, in Beispiel 2 nur 13 Stunden, 1,6 Personentage!

Beide Beispiele basieren auf echten Daten, das erste nur von Bewerbungen und das zweite nur von Empfehlungen. Im alltäglichen Recruiting sollte die Wahrheit irgendwo in der Mitte liegen, aber eines wird aus dem Beispiel klar: Allein mit Quantität wird man nicht erfolgreich sein und sehr viel Zeit vergeuden, die an anderen Stellen sehr viel besser investiert ist.

Konversionsraten sind zwar nicht das Allheilmittel, aber sie geben einen klaren Hinweis auf die Qualität des Funnels! Zum Beispiel ist eine Konversionsrate von unter 50% von der ersten zur finalen Runde ein deutlicher Indikator dafür, dass es in der ersten Runde zu viele unqualifizierte Kandidat:Innen gibt, und infolgedessen „produziert“ der Erstkontakt zu viele falsch positive Ergebnisse.

Wichtig: Eine wichtige Konsequenz der Fokussierung auf die Konversionsraten ist ein viel kleinerer Funnel, zumindest ab der 1. Interviewrunde.

3. Ein gut ausgebildetes Recruiting Team

Um die niedrigeren absoluten Zahlen auszugleichen, muss an einer weiteren Stellschraube gedreht werden - dem Erfahrungsgrad des Recruiting Teams. Hierzu sollten folgende Themenbereiche abgedeckt werden:‍

  • Führungskräfte und Interviewer:innen, die in Interviewtechniken, Unconscious Bias, Fokus auf eine gute candidate experience und, was ebenfalls sehr wichtig ist, im Recruitingprozess ausgebildet und geschult wurden
  • Kommunikation auf Augenhöhe zwischen Recruiter:innen und Führungskräften, um ein umfassendes Verständnis der Anforderungen, des Stellenmarktes, der Bedürfnisse und Wünsche usw. zu haben und den sogenannten Schwarzes-Loch-Effekt zu verhindern
  • Ein klar umrissener Rekrutierungsprozess sowie klar zugewiesene Rollen und Verantwortlichkeiten im Recruiting Team
  • Ein einzige Person, die für den Prozess verantwortlich ist, vorzugsweise die Recruiter:in
  • Diversifizierte Rekrutierungskanäle, d. h. Stellenausschreibungen in den entsprechenden Foren, strukturierte Direktsuche, Durchführung von Employer Branding-Kampagnen, ein attraktives Empfehlungsprogramm, usw.
  • Ein gut ausgebildetes Recruiting Team mit starken, spezialisierten Recruiter:innen

Besonders die Aus- und Weiterbildung der Recruiter:innen ist von großer Wichtigkeit. Nur wenn sie ein umfassendes Verständnis des Bereiches haben, für den sie rekrutieren, können sie die Kandidat:innen so gewissenhaft wie möglich evaluieren und nur mit denjenigen weiterarbeiten, die das Potenzial haben, es in die Angebotsphase zu schaffen.
In Kombination mit geschulten Führungskräften und Interviewer:innen, einem klar strukturierten Recruitingprozess und einer offenen, präzisen Kommunikation auf Augenhöhe innerhalb des Recruiting Teams kann ein solider Rekrutierungsfunnel und somit eine erfolgreiche Besetzung der offenen Stellen erreicht werden.

Zusammenfassung

Qualität statt Quantität, datengetriebenes Recruiting und ein starkes Recruiting Team sind die Basis für erfolgreiches Recruiting. Es hängt nicht von der Anzahl der Bewerbungen ab, sondern von einem durchdachten Ansatz. Mit einem Fokus auf Qualität, Daten und einem starken Team können Unternehmen auch im Wettbewerb um Fachkräfte punkten.

Und im Zweifel ist es nicht verwerflich, sich professionelle Unterstützung ins Haus zu holen! Die positiven Auswirkungen kompensieren die anfänglichen Kosten nicht nur schnell, sondern übersteigen sie signifikant.

Kontakt:

Christian Wastlhuber, The UnleashPeople

Detaillierte Informationen sind hier zu finden:

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