Valentina v. Cramm

Valentina v. Cramm

Themen

Unternehmertum
29.05.2024

Valentina v. Cramm

Die Geschäftsführerin der W3 digital brands HAM GmbH im Interview für die Initiative „Der Junge Mittelstand“.

Wie sind Sie dazu gekommen, Unternehmerin oder Unternehmer zu werden?

Ein richtig schöner Zufall führte dazu: Auf dem After-Work-Netzwerken eines Branchentreffs griffen ein mir damals Unbekannter und ich zur selben Weinflasche. Kurzerhand beschlossen wir, diese gemeinsam mit seinem Geschäftspartner zu leeren. Und ein paar Minuten später war klar: Hier hat sich zwar keiner gesucht, aber trotzdem gefunden. Mario und Lukas, wie ich nun wusste, waren vom Bodensee nach Berlin gereist und wollten sich dort bei den „Großen” ihrer Branche mal umhören. Ich war damals noch angestellt und hatte gar nicht vor, das zu ändern. Aber mit den beiden kamen so schnell so gute Themen auf, dass wir die Zeit völlig vergaßen – und am Ende des Abends war klar: Hier wird sich was entwickeln.

Wenn Sie in der Zeit zurückgehen könnten, würden Sie denselben Weg nochmal gehen? Oder würden Sie etwas anders machen?

Ich würde denselben Weg nochmal gehen, hundertprozentig! Ich habe mich vorbehaltlos auf etwas Neues eingelassen; vor allem erstmal auf den Gedanken, aus dem sicheren Angestelltsein ins Unternehmertum zu wechseln. Recht schnell hatte ich ein paar Menschen in meinem Umfeld identifiziert, von deren Einschätzung und Klugheit ich viel halte, und die mich beraten haben. Das hat mir geholfen, blinde Flecken zu identifizieren. Und vor allem merkte ich dann: Als mir ein enger Freund, der als CFO in meiner Branche arbeitete, eher abriet, diesen Weg zu gehen, hat sich in meinem Bauch und meinem Kopf so viel Widerstand geregt, dass ich leidenschaftlich gegen seine Thesen argumentierte. Plötzlich merkte ich also: Ich hatte mich schon längst dafür entschieden. Los ging’s!

Haben Sie im Gründungs- oder Übernahmeprozess in irgendeiner Form Unterstützung erhalten? Falls ja, welche Form der Unterstützung war besonders zentral?

Für mich war der Austausch mit anderen Unternehmerinnen und Wegbegleitern total wichtig. Ich wusste so, dass uns alle ähnliche Gedanken plagen und Herausforderungen begegnen. Meine Sorgen – oder auch Unsicherheiten! – nicht zu verbergen, fand ich am Anfang schwierig, weil ich sie als Schwäche empfand. Da ich aber neu auf dem Gebiet war, habe ich mich getraut, alles auszusprechen und meinen „Küken-Bonus” zu nutzen. Siehe da: Keiner hat mich ausgelacht, ich habe wertvolle Tipps bekommen und viel Rückenwind. Ein starkes Netzwerk: unbezahlbar.

Welche Entscheidung würden Sie für sich als Wegweisendste bezeichnen oder auch die, aus der Sie am meisten gelernt haben?

Am wegweisendsten war für mich wohl die Auswahl meines ersten Jobs: Auch nach 20 Jahren habe ich noch Verbindungen zu meinen Kollegen aus Deutschlands bekanntester Werbeagentur. Durch die Chance, die mir dort gegeben wurde, habe ich von Anfang an bei den Besten gelernt. Dieses Selbstvertrauen, was mir sowohl durch die handwerklichen Fähigkeiten als auch durch die Kultur des Zusammenhalts und das Selbstverständnis von Exzellenz eingeimpft wurde, hat den Boden für so viel mehr bestellt. Glaube ich. Daher kann ich jedem jungen Menschen nur raten, direkt nach der Schule ganz oben ins Regal zu greifen: Finde den herausragendsten Meister Deiner Zunft und bewirb Dich da. Finde einen kreativen Weg, Dich von der Masse der Bewerber abzusetzen. Das ist eine wichtige Gabelung in Deinem Leben – greif nach den Sternen!

Was war die größte Herausforderung, die Ihnen begegnet ist?

Ich wünschte, ich könnte jetzt etwas total Inspirierendes antworten. Etwas, woraus man sogar was lernen kann. Aber mir will nichts einfallen. Ich verzweifle selten an Problemen, sondern gucke sie mir von allen Seiten an, versuche Logik walten zu lassen – und entscheide dann trotzdem aus dem Bauch heraus. Ich habe Gott sei Dank ein recht schlechtes Gedächtnis, was mir dabei hilft, nicht nachtragend zu sein. Und auch wenn sich das scherzend anhört: Ich find es wirklich hilfreich, viele Sorgen nicht ständig von links nach rechts zu wälzen. Sondern nach vorn zu schauen und fröhlich darüber zu sein, dass man nicht jeden Tag Schmerzen hat und ein Dach über dem Kopf. Alles andere kommt von selbst.

Wie gelingt Ihnen der Spagat zwischen Beruf, Familie und Freizeit? Welche Unterstützung wünschen Sie sich für eine bessere Vereinbarkeit?

Der Spagat gelingt mir tatsächlich meist nicht. Ich diskutiere Dinge, die mich beruflich interessieren oder fordern, auch spätabends mit Freunden oder Familienmitgliedern. Ich telefoniere auch tagsüber mit meinen Schwestern, auch wenn das vermeintlich Arbeitszeit ist. Ich arbeite fast immer und bin daher permanent für meine Kollegen erreichbar. Mein Glück ist es, dass ich wahrscheinlich keine Kinder bekommen kann. Sonst wüsste ich nicht, wie ich mein Leben organisieren sollte. Mütter und Väter bewundere ich von Herzen – die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Freizeit ist mir ein absolutes Rätsel!

Wie stehen Sie zum Thema Jobsharing oder Tandem als Lösung für eine bessere Vereinbarkeit?

Jobsharing finde ich eine fantastische Möglichkeit, zwei Menschen ein Leben mit Beruf und kleinen Kindern zu ermöglichen – wenn es denn auch Kitas gibt, die dieses Modell ermöglichen. Momentan würde ich nämlich nur Eltern kennen, die vormittags bis zum frühen Nachmittag arbeiten können und keine oder keinen, der die Nachmittag- und Abendschicht macht. Außerdem muss eine Sichtbarkeit von diesen anderen Arbeitsmodellen in Richtung unserer Kunden stattfinden: Bisher geht nämlich jeder davon aus, dass auch um 17:55 Uhr noch gearbeitet wird, bzw. jemand ans Telefon geht. Zu Recht, wenn den Kunden suggeriert wird, es bleibt alles beim Alten. Wir gehen bei Neukundenprozessen, beim Kennenlernen, intensiv auf unsere „Ways of working” ein. Das heißt auch, ganz transparent zu kommunizieren, wer in Teilzeit arbeitet und dass wir nicht rund um die Uhr zu erreichen sind. Unsere Erfahrung sagt uns: Dann gehen Kunden diesen Weg mit. Sie müssen es aber von Anfang an wissen.

Womit beschäftigen Sie sich derzeit besonders intensiv?

Meine Geschäftspartner und ich, wir finden uns zwar ganz schön spitze und schlau – sind uns aber vielleicht gerade deswegen bewusst, dass wir nicht alles wissen. Wir sind mit den zwei Standorten unserer Digitalagentur happy, strecken aber so langsam die Fühler aus, welcher Ort sich als dritter oder vierter eignen würde. Auch feilen wir nach wie vor (oder wieder?) an unserer Positionierung. Und wie schaffen wir es eigentlich, unsere Kultur zu bewahren und trotzdem immer besser zu werden? Hochmut kommt vor dem Fall, und daher sind wir gerade in einen Beratungsprozess mit einem erfahrenen Agenturmanager eingetreten, der uns befähigt, unsere mittel- und langfristigen Ziele zu sortieren, und uns dabei hilft, Fettnäpfchen zu überspringen und Stolpersteine aus dem Weg zu kicken. Besser jetzt als zu dem Moment, wenn es schon arg ist und die Hütte brennt – wir wollen vorbereitet sein!

Wodurch erfahren Sie besondere Wertschätzung für Ihre Arbeit?

Die Wertschätzung meiner Arbeit drückt sich nicht in bezahlten Rechnungen auf dem Unternehmenskonto aus – auch wenn so etwas natürlich toll zu sehen ist; insbesondere wenn dort so langsam auch mal ein Puffer für ein paar Monate entsteht. Aber nein, Wertschätzung meiner Arbeit drückt sich für mich in dem Lob von Kunden aus, die sich die Zeit nehmen, bestimmte Ergebnisse oder Mitarbeitende von uns zu loben. Das gebe ich dann in unseren Weeklys am Mittwoch auch immer an die große Runde weiter und freue mich über rote Wangen der Menschen, die besonders ins Scheinwerferlicht gebracht werden. Gut so! Lob wird mehr, wenn man es teilt. Ganz besonders froh allerdings macht mich persönlich die wachsende Anzahl von Bewerberinnen und Bewerbern. Wir sind überwältigt, wie viele Benachrichtigungen wir bekommen, wenn wir eine Stellenausschreibung veröffentlichen – wie cool ist das denn?! Alle klagen über mangelnden Nachwuchs oder Fachkräftemangel; wir nicht. Und ist das nicht die allerschönste Wertschätzung?

Welche Botschaft möchten Sie frisch gebackenen jungen Unternehmerinnen und Unternehmern mitgeben?

Ist es jetzt kontraproduktiv, wenn ich sagen würde „Seid erstmal lange angestellt, bevor ihr euch selbstständig macht”? Hört sich das reaktionär an? Vermutlich. Ich kenne aber nur meinen Weg, der mir in 20 Jahren in der Festanstellung bei vier verschiedenen Agenturen und Firmen so viel an Erfahrungen mitgegeben hat, die ich jetzt als Unternehmerin nutzen und einsetzen kann. Hätte ich mich viele Jahre vorher gewagt: Ich glaube, ich wäre zu unerfahren gewesen. Aber sicherlich gibt es auch das Gegenteil: Mit weniger „Corporate”-Erfahrung im Rücken wäre ich vielleicht waghalsiger und weniger Prozess-Pingel.

Mit welchen wesentlichen Maßnahmen fördern Sie in Ihrem Unternehmen gezielt junges Unternehmertum oder geben Young Professionals Rückenwind?

Ich versuche, alle in meinem Umfeld zu inspirieren, sich tagtäglich weiterzubilden. Von den zahlreichen Newsletter, Podcasts und Magazinen, die ich konsumiere, schicke ich permanent Links an Personen, bei denen ich denke, dass sie sich dafür interessieren könnten. Ich finde es wichtig, zu wissen, welche Trends unsere Branche bewegen, aber auch kulturell gebildet zu sein und zu bleiben. Ich glaube daran, dass die Beschäftigung mit vielfältigen Themen dazu führt, dass man im Kopf flexibel bleibt. Und was sich für jemanden persönlich spannend anfühlt, kann auch irgendwann im Beruf Spuren hinterlassen – und nützlich sein.

Engagieren Sie sich in einem Ehrenamt?

Wir bei W3 haben einen Ehrenamtstag. Einen Tag im Jahr schenken wir unsere Zeit ehrenamtlich Personen oder einem Zweck. Dieses Jahr ist es das Aufräumen von Ufern und Stränden mit der App unseres Kunden Sea Shepherd, die wir programmiert haben – sobald die gelauncht wird, machen wir uns auf den Weg! Privat engagiere ich mich bisher nur in der Jury des Mara-Cassens-Preis, einem Buchpreis für Debütromane. Letztes Jahr habe ich dafür über 70 Bücher gelesen und auf meinem Instagram- und LinkedIn-Kanal probiert, Aufmerksamkeit für diese jungen Autorinnen und Autoren zu erzeugen. Was soll ich sagen: Influencer bin ich noch lange nicht.

Was hat Sie als Unternehmerin/Unternehmer am meisten überrascht?

Wie schlecht ich bei echten Konflikten bin. Am liebsten habe ich Harmonie um mich herum. Das hindert mich daran, Kritik zu äußern. Oft ducke ich mich dann eher weg und versuche, einen anderen Weg zu finden, das Thema zu lösen. Wenn mir das nicht gelingt, schlucke ich meinen Ärger wirklich runter. Aber immerhin ist der dann weg! Auch gut.

Was wird Ihr nächstes Projekt?

Wir arbeiten momentan an ein paar spannenden Kundenprojekten, die große Freude bereiten. Mein eigenes Projekt wird aber sein: ein Präsentationstraining. Denn obwohl ich eigentlich nicht auf den Mund gefallen bin, ist mir vor ein paar Monaten wieder etwas passiert, was mich maßlos ärgert: Vor Publikum hatte ich einen Blackout beim Präsentieren. Die Begrüßung ging noch tadellos, dann sackte mir der Inhalt im Kopf weg und ich kam nicht wieder rein. Sowas Bescheuertes! Das Problem nehme ich jetzt in Angriff und habe dafür den besten Trainer: Michael Wanker coacht wirkliche Größen und nimmt jetzt auch mich unter seine Fittiche.

Womit schaffen Sie in Ihrer Freizeit einen Ausgleich zu Ihrem Arbeitsalltag?

Am liebsten verbringe ich Zeit in der Küche: Mit Freunden und Familie zusammenkommen, mir vorher eine Menüfolge ausdenken, in großen Töpfen rühren, kleine Helferlein zum Schnippeln um mich herum und mit einem Glas kühlem Weißwein in der Hand. So verbringe ich am liebsten lange Wochenenden. Idealerweise bei meiner Schwester in einem großen Haus auf dem Land. Superpower: die zwei Backöfen – zum Ausflippen gut!

Gibt es eine Frage, die Sie gern einem Politiker oder einer Politikerin stellen würden? – Wem würden Sie diese Fragen stellen?

Wann gestatten wir in Deutschland endlich anständige Sterbehilfe? Gern würde ich über dieses Thema mit dem deutschen Ethikrat diskutieren. Ein selbstbestimmtes und aufrechtes Leben kennzeichnet sich für mich auch dadurch, dass das Ende ein würdevolles ist. Ich wünsche mir, das selbst in der Hand zu haben. Und falls Sie sich eine weniger dramatische Frage hier wünschen: Warum bezahlen wir Kindergärtner und Erzieherinnen so unterirdisch? Das ist mir ein absolutes Rätsel, welches ich gern von Robert Habeck gelöst sehen möchte. Vielleicht versuche ich ihn beim nächsten BVMW-Mittelstandstag dazu mal anzusprechen!

Infos zur Person

Valentina v. Cramm

Infos zum Unternehmen

W3 digital brands HAM GmbH
www.w3-digitalbrands.com

  • Gründungsjahr: 2016/2018/2023
  • Branche: Werbung/Kommunikation
  • Firmensitz: Hamburg
  • Mitarbeitende: 2 – Ziel in 4 Jahren: 20

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